Leben und Werk von Nikolaus Reinartz,
Pfarrer und Heimatforscher - Ein Projekt von Nikola-reinartz.de und Nikolaus-reinartz.de





Das historische Interview
Mechtild Dahmen (1717-1801) und M. Elisabeth Dahmen (1720-1799)
von Sophie Lange





Frage:

Meine Damen, entschuldigen Sie, dass ich Sie in Ihrer himmlischen Ruhe störe. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?

Mechtild:

Meine Schwester und ich sind gut 200 Jahre für die Erdenmenschen abgeschieden. Wer ruft uns jetzt?

Frage:

Sie sind Mechtild, die Ältere von Ihnen beiden, Frau Dahmen?

Mechtild:

Ich bin Mechtild Dahmen, aber nicht Frau, sondern Fräulein. Meine Schwester Maria Elisabeth und ich waren unverehelicht, also Jungfrauen. Die heutige Art auf Erden, alle Frauen, ob Vermählte oder Jungfrauen, mit „Frau“ anzureden, finde ich, ehrlich gesagt, sinnwidrig. Ich war immer stolz auf die Titulierung „Fräulein“.

Frage:

Entschuldigen Sie bitte Frau – Fräulein Dahmen. Oder darf ich Mechtild sagen? Das würde die Differenzierung etwas vereinfachen.

Mechtild:

Fräulein Mechtild, wenn ich bitten darf.

Frage:

Danke, Fräulein Mechtild. Sie sind 1717 geboren und 84 -jährig im Jahr 1801 verstorben. Ihre Schwester Maria Elisabeth ist 1720 geboren und 1799 mit 79 Jahren verstorben. Sie haben Ihre drei Jahre jüngere Schwester um knapp zwei Jahre überlebt.

Elisabeth:

Gott sei Dank! Alleine wäre ich keinen Tag zu Recht gekommen – bei den vielen geschäftlichen Regularien.

Frage:

Sie sind Elisabeth, Maria Elisabeth. Wie darf ich Sie ansprechen?

Elisabeth: 

Ich schließe mich meiner Schwester an. Sagen Sie Fräulein Elisabeth.

Frage:

Danke, Fräulein Elisabeth.




Die „Regularien“ in Ihren späten Lebensjahren kamen ja von einem Riesenvermögen. Man munkelt etwas von zwei Millionen Gulden – eine unvorstellbare, ja märchenhafte Summe für Eifeler Verhältnisse. War Ihr Vermögen wirklich so groß?

Mechtild: 

Sind Sie Steuereintreiber?

Frage: 

Nein! Um Gottes Willen, was denken Sie!

Elisabeth: 

Lassen Sie bitte den Willen Gottes aus dem Spiel.

Frage: 

Ich habe rein historisches Interesse an Ihrem Leben.

Mechtild:

Das müssen Sie uns genauer erklären, sonst verschwinden wir wieder in himmlischen Sphären.

Frage:

Also gut. Ich interessiere mich für das Leben einstiger Frauen der Eifel. Diese haben zu allen Zeiten Großes geleistet, aber bekannt ist kaum eine von ihnen – ganz im Gegensatz zu den Männern. Bei meinen Nachforschungen bin ich dann auf Sie gestoßen.

Elisabeth:

Und wodurch, wenn ich fragen darf?

Frage: 

Vor allem durch einen Bericht von Pfarrer Reinartz (1884-1954) aus Kreuzweingarten; 1) aber auch durch Sekundär-Literatur, 2) weiterhin durch das schöne Fachwerkhaus Ihrer Großeltern mütterlicherseits, das 1669 in Hostel gebaut wurde 3) und heute noch durch sein schönes Fachwerk 4) besticht.





Das Dahmen-Haus in Hostel am 13. November 2007




Sie sind beide in Hostel in der Eifel geboren?

Mechtild: 

Ich will Ihnen Ihren Wissensdurst abnehmen. Ja, wir haben beide, wie unsere Geschwister, das Licht der Erdenwelt in Hostel erblickt.

Elisabeth:

Aber Hostel liegt nicht in der rauen, armen Eifel, höchstens in der Voreifel.

Frage: 

Da haben Sie Recht, Fräulein Elisabeth. Zu Ihrer Erdenzeit war die Eifel ja noch als unwirtlich verschrieen. Heute ist man stolz darauf, ein Eifeler zu sein.

Elisabeth:

Wirklich? Unglaublich! Unvorstellbar!

Frage: 

Sie waren zu neun Geschwistern und doch erbten Sie allein das Familienvermögen. Wie kam es dazu?

Mechtild: 

Die Ehe unserer Eltern wurde mit neun Kindern gesegnet, mit sechs Söhnen und drei Töchtern. Unsere älteste Schwester Catharina, die Erstgeborene, starb als ehrsame Jungfrau mit 34 Jahren. Von den sechs Brüdern starben zwei früh. Drei Brüder wählten den geistlichen Stand; zwei von diesen, Valentin und Johann Josef, traten in den Jesuitenorden ein. Valentin war Professor und Subregens am Dreikönigen-Gymnasium in Köln; Johann Josef war Rector dignissimus des Jesuiten-Kollegs in Münstereifel.

Elisabeth: 

Werner, der dritte der geistlichen Herren, war Kanonikus des St. Vitusstiftes zu Elten am Niederrhein. Die letzten Lebensjahre verbrachte er bei uns in Hostel.

Mechtild: 

Er starb mit 66 Jahren anno 1780. Wir haben ihm einen Trauer-Denkstein in der Kapelle zu Hostel gesetzt.

Frage: 

Der heute noch aufgestellt ist. Mich hat die Inschrift beeindruckt.

Elisabeth: 

Die Worte habe ich im ehrenhaften Gedenken ausgewählt: Bina soror posuit fratri haec monumenta doloris – unum quippe trium cor unus trahit amor.
(Dieses Trauermal der Schmerzen setzt dem Bruder das Schwesternpaar – denn in dreien Herzen ja nur eine Liebe war.)

Mechtild: 

Unsere drei geistlichen Brüder waren hochangesehene, heiligmäßige, akademisch-gelehrte Priester.

Elisabeth:

Wir hatten viele hohe kirchliche Würdenträger in unserer Familie und Karl der Große steht in unserer Ahnenreihe.

Mechtild:

Aber auch unser Bruder Johann war ein berühmter Mann. Er war als „mercator“ die Stütze unseres Vaters. Er war ein scharfsinniger Geschäftsmann. Leider verstarb er anno 1771, unverehelicht, im Alter von 43 Jahren. Nur wir beiden Schwestern wurden durch ein langes Erdenleben auf die ewige Glückseligkeit vorbereitet.

Elisabeth: 

Aber auch unsere Eltern haben durch die Gnade des Allerhöchsten ein biblisches Alter erreicht. Vater wurde 88 Jahre, Mutter 81. Jahre.

Mechtild: 

Wir beiden Schwestern haben alle überlebt…

Frage:

… und beerbt. Dass der Familienreichtum aus dem Bleibergbau und alles was dazu gehört – Handel, Tausch, Frachtfuhren – stammte, ist selbstverständlich, denn nur mit dem was unter der Erde war, konnte man in der Eifel – oder Voreifel – reich werden. Doch dass der Reichtum sich in einer Familie so anhäufte, ist doch ungewöhnlich. Man hat vom Fund eines Regimentschatzes gemunkelt.

Elisabeth: 

Schatz! Wer glaubt denn solche Märchen? Es war ererbter, aber auch hart erarbeiteter Besitz. Es war so: Unsere Mutter, deren Vornamen ich auf Erden tragen durfte, war einziges Kind aus dem reichen Hensch – Pick - Geschlecht in Hostel.

Mechtild: 

Ja, und unser Vater war auch ein einziges Kind aus der Ehe unserer Großmutter Mechtild Stoltz und Werner Dahmen aus Bleibuir. Sie waren also beide Stockerben, die einzigen Erben zweier großer Vermögen. Zu diesem Fundus kamen noch Gelder und Güter, die unser Vater und unser Bruder Johann mit ihrer Hände Arbeit und mit ihres Verstandes Geisterkraft erwirtschaftet haben. Da kam halt allerhand zusammen.

Frage:

Diese Großmutter väterlicherseits, Fräulein Mechtild, war ja schon einmal verheiratet gewesen; dieser Ehe entstammten sechs Kinder.

Mechtild: 

Dieser Ehe entspross vor allem Johann Matthias Pfleumer (1673-1712), der Pfarrer in Zingsheim gewesen war. Leider starb dieser heiligmäßige Geistliche bereits 1712 im Alter von 39 Jahren, aber in seinem kurzen Leben hat er Bemerkenswertes geschaffen…

Elisabeth:

… obwohl er von seinen Zeitgenossen verkannt wurde. Manche streng konservativen Katholiken sahen in ihm einen Revoluzzer. Nein, das war er nicht. Er war „reformeifrig“ – und seiner Zeit weit voraus. 5)

Frage: 

Sehr interessant, Fräulein Elisabeth. Dieser heiligmäßige Pfarrer aus erster Ehe ihrer Großmutter hatte fünf Schwestern, die – im Gegensatz zu Ihnen – alle heirateten.

Elisabeth: 

Soll das eine Anspielung sein?

Frage:

Aber nein, entschuldigen Sie, Fräulein Elisabeth. Die Nachkommen dieser Stieftanten, wenn man so sagen kann, wären demnach erbberechtigt gewesen nach Ihrem Tode. Das Vermögen soll ja teilweise in fremde Hände gefallen sein.

Mechtild:

Wollen Sie irgendwelche Erbansprüche geltend machen?

Frage: 

Bestimmt nicht, Fräulein Mechtild. Lassen wir dieses Thema fallen. Es geht eigentlich auch um etwas ganz Anderes. Sie beide, Mechtild und Elisabeth Dahmen, werden in den Schriften „viel ehr- und tugendsame und wohledle Wohltäterinnen“ genannt.

Mechtild: 

Vor allem waren wir gläubige, fromme Gottesdienerinnen.

Frage: 

Auch das wird in den Schriften immer wieder betont. Bei dem Studium Ihrer Lebensläufe habe ich mich gefragt, warum Sie beide nicht in ein Kloster eingetreten sind. Das hätte doch zu Ihrer Familie gepasst, der man ein „gepflegtes religiöses Leben“ bescheinigte.

Elisabeth:

Ach darum geht es. Sie wollen wohl von uns hören, dass wir ein Leben lang vergeblich auf einen Mann gewartet haben?

Mechtild:

Das hatten wir nun wirklich nicht nötig.

Frage: 

Es war nur so ein Gedanke von mir, da es ja früher Sitte war, dass unverheiratete Töchter ins Kloster gingen. Wohlhabende Eltern bauten ihren Töchtern sogar ein eigenes Frauenstift. „Mann oder Mauer“ war die Devise.

Mechtild: 

Mann oder Mauer! So ein Schwachsinn! Wir sind nicht in ein Kloster eingetreten – basta!

Elisabeth:

Gott hat uns unseren Platz zu Hause angewiesen. Wir waren unseren Eltern eine segensreiche Stütze, nicht nur im häuslichen Wirken, sondern auch im kaufmännischen Sektor unseres Blei-Bergbau-Unternehmens.

Frage: 

Ja natürlich. Ich wollte auch nicht indiskret sein, Fräulein Elisabeth.

Mechtild: 

Dann werden Sie bitte nicht so persönlich. Sie verwirren meine kleine Schwester nur. Wollen Sie noch etwas wissen?

Frage:

Es heißt im Bericht von Pfarrer Reinartz, dass sie nicht nur die Schätze, sondern auch die freigebige Gesinnung des Vaters geerbt haben. Sie werden Wohltäterinnen oder Stifterinnen genannt. Meine Frage: Nach welchen Kriterien haben Sie das Vermögen verteilt?

Elisabeth:

Wenn Sie unsere Geschichte kennen, müssten Sie auch über unsere Stiftungen Bescheid wissen.

Frage: 

Im Allgemeinen schon. Mich interessieren aber mehr Ihre persönlichen Beweggründe. Ganz allgemein heißt es, dass Sie zwischen 1780 und 1792 Wohltaten über Klöster, Dörfer und Städte Ihrer Heimat ergossen haben. Besonders aber wurden Kirchengemeinden bedacht. Warum stifteten Sie soviel an kirchliche Einrichtungen?

Mechtild: 

Das ist nun wirklich eine dumme Frage. Alles, was der Mensch besitzt, ist ihm von Gott gegeben. Da ist es doch selbstverständlich, dass man Erdengüter zu Gottes Ehre verteilt.

Frage: 

Wollten Sie sich einen Platz im Himmel erkaufen?

Mechtild: 

Diese Frage ist taktlos.

Elisabeth: 

Eine Unverschämtheit!

Frage: 

Ich glaube, ich muss mich schon wieder entschuldigen.

Mechtild: 

Da Sie über 200 Jahre jünger sind als wir, sei Ihnen diese Beleidigung verziehen. Aber eines möchte ich Ihnen doch sagen: Man kann sich das Himmelreich nicht erkaufen, höchstens verdienen. Merken sie sich das, sonst werden wir uns nie in der ewigen Glückseligkeit begegnen.

Frage: 

Das wäre wirklich schade. Ich bin nämlich fasziniert von Ihnen, Fräulein Mechtild und Fräulein Elisabeth.

Elisabeth: 

In welcher Beziehung?

Frage:

Ich finde es bemerkenswert, dass Sie sich schon damals für die Schulbildung einsetzten. Sie waren Ihrer Zeit diesbezüglich weit voraus. In einer Abhandlung über die Entwicklung des Euskirchener Schulwesens heißt es, dass Sie „zwei Million Gulden für den Bau von Schulen, Einsatz von Lehrkräften und Erlass des Schulgeldes“ 6) stifteten.

Elisabeth: 

Sie wissen, dass das nicht stimmt.

Frage:

Stimmt! Zwei Millionen waren es nicht.

Mechtild:

Die Schulbildung lag damals sehr im Argen. Das ist für die heutigen Menschen auf der Erde kaum vorstellbar. In besonderen Härtefällen haben wir eben geholfen.

Frage: 

In Münstereifel, Gemünd, Kallmuth, Mechernich…

Mechtild: 

…und anderswo.

Frage: 

Die Stipendiatinnen in Münstereifel mussten ja täglich einen Rosenkranz für Sie beten und auch sonst waren Ihre „Wohltaten“ mit Messfeiern und Gebete gekoppelt.

Mechtild: 

Stört Sie das?

Frage: 

Nein, das nicht gerade. Es berührt mich nur irgendwie komisch.

Elisabeth: 

Wenn Sie mal im Jenseits sind, berührt Sie das nicht mehr „irgendwie komisch“. Das war es dann wohl.

Frage:

Bitte noch kurz etwas zu Assessor Brewer, der das Erbe verwaltete. Es ist zu lesen, dass zwischen Ihnen beiden und ihm eine „Geistesverwandtschaft“ bestand.

Mechtild:

Wenn das so geschrieben steht, wird es wohl auch der Wahrheit entsprechen.

Frage: 

Kam durch ihn das Erbe in falsche Hände?
(Keine Antwort)

Frage:

War Herr Brewer ein Verwandter aus der Familie Ihrer Großmutter väterlicherseits?

Elisabeth: 

Sie haben doch gesagt, dass es eine Geistesverwandtschaft war.

Mechtild: 

Assessor Brewer hat sich Mühe gegeben, uns bei den Nachlassgeschäften zu beraten. Auch hat er sein Bestes getan, unser Erbe in unserem Sinne zu verwalten. Und nun Schluss mit diesem Thema.

Frage:

Darf ich noch eine Frage zu Herrn Brewer stellen?

Mechtild: 

Aber wirklich nur eine. Überlegen Sie sich diese also gut.

Frage: 

Hmm! Nun also: Sind Sie jetzt mit Herrn Brewer zusammen im Himmel?

Elisabeth: 

(lacht) Eine gute Frage!

Mechtild: 

Alle unsere Verwandten sind im Reiche Gottes vereint.

Frage:

Auch die Geistesverwandten?

Mechtild:

Das war nun die zweite Frage. Dann hätten wir wohl alles. Wir möchten uns auf unseren himmlischen Ruhesitz zurückziehen.

Frage: 

Ich danke Ihnen sehr, dass Sie für mich Zeit hatten.

Mechtild:

In der Ewigkeit gibt es keine Zeit. Es war interessant, unser einstiges Leben als jetzige Vergangenheit zu betrachten. Aufwiedersehen – vielleicht.

Elisabeth: 

Gottes Segen für alle in der schönen Eifel – bzw. Voreifel. Ihr braucht nicht mehr für uns zu beten, wir beten nun für euch.

Frage:

Amen!









Quellenangaben:

1) Pfarrer Reinartz; Zwei Förderinnen kath. Jugenderziehung im Eifellande; Kreuz-Weingarten, o. J.

2) H. Roggendorf: Mechernich. Altes und Neues zur Heimat- und Pfarrgeschichte, Köln 1929, Seite 108

3) Ernst Wackenroder. Die Kunstdenkmäler des Kreises Schleiden, Düsseldorf, 1932, Seite 197

4) Pfarrer Reinartz: Thomas Eichel, ein Eifeler Zimmermeister vor 250 Jahren und sein Werk. In: Veröffentlichungen des Bischöflichen Diözesanarchivs Aachen, Band 13 (1952)


Fachwerkhaus von Thomas Eichel

5) Pfarrer Reinartz: Mathias Pfleumer von Zingsheim, ein reformeifriger Eifelpfarrer. In: Veröffentlichungen des Bischöflichen Diözesanarchivs Aachen, Band 14 (1952)

6) H. - Dieter Arntz: Die Entwicklung des Euskirchener Schulwesens unter Berücksichtigung der Industrialisierung, Euskirchen 1973, Seite 11


Sophie Lange in: Küche, Kinder, Kirche 1994


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